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Hintergründiges auf der Vorderseite des Forchheimer Rathauses

Zweifellos kann die Nachbarstadt Bamberg den Ruhm für sich beanspruchen, den urkundlichen Beleg für den bislang urersten Gebrauch des aller berühmtesten Ausspruches der Menschheit archivarisch nachweisen zu können. Und sie tut sich allerlei zugute darauf. Nur erfolgte die unerlässliche Rehabilitierung der 1454 ob ihrer respektwidrigen, dem St. Gangolfer Chorherrn Hans Schwob gegenüber vom Stapel gelassenen „Kirchweihladung“ empfindlich hergenommen Agnes Schwanfelderin recht spät; und wenn heute eine Straße den Namen der resoluten, inzwischen zu historischer Bedeutung gelangten Gärtnerswittib trägt, dann erhebt solche Ehrung ihren unsterblichen Ausspruch geradezu zur Salonfähigkeit.
Forchheimer, politisch ehedem die zweite Stadt des Hochstifts, braucht sich auch im Hinblick auf das Drum und Dran der besagten leckeren Einladung keinesfalls hinter schamhafter Verhüllung  verbergen, da es zur Historie des von Johann Wolfgang von Goethe zu steilster dichterischen Höhe gehobenen „schwanfelderischen“ Angebotes wertvolle Bausteine liefern kann. Als vor etlichen Jahrhunderten der Bürgerschaft der vulgäre Name wissend wurde, der ihr von übelgesinnter Seite diffamierend zugelegt worden war, und der „Mauerscheißer“ lautet, reihte sich ihn ebenso mutig in das Buch ihrer ehrenvollen Stadtgeschichte ein wie die dieses Prädikat bewirkende Tatsache der wahrhaft aufopfernden Verteidigungsbereitschaft, die sie im Markgräflerkrieg des Jahres 1553 an den hellen Tag legte.

Freilich waren die tapferen Forchheimer Bürger durchaus nicht die ersten, die auf besonders delikate Weise Angreifern zu begegnen versuchten. Schon im Altertum galt das Zeigen der unbedeckten menschlichen Rückseite als Verhöhnung, Beleidigung und als abwehrkräftig; Berichte über frühere Belagerungen fester Städte wissen häufig von dieser Sitte zu künden. Am Anfang aller derartigen Schutzmaßnahmen steht jedoch die Abwehr böser Geister, der Dämonen, bewirkt durch das Anbringen grässlicher Gesichter, von Köpfen von Ungeheuern, Gorgonenhäuptern und abschreckenden Figuren. Auch übelriechende Stoffe, der Geruch starkwürziger Pflanzen, wird zu Hilfe genommen. Nicht minder nützt Menschenkot. Wenn wir hier nochmals den Forchheimer „Ehrennamen“ heranziehen wollen, dann wäre fast anzunehmen, dass derselbe möglicherweise in seiner ganzen Aussagekraft Berechtigung hat.

Das Zeigen jenes Körperteiles, das der Mensch selbst nicht zu Gesicht bekommt, sollte einst auch gegen den bösen Blick schützen. Dadurch, dass der Leipziger Gelehrte Prätorius 1669 erzählte, dass Mütter, um ihre Kinder von dem „Berufen“ zu bewahren, bei verdächtigen Worten riefen: „Lecke mich im A ….!“, wurde er neben dem Bamberger Stadtgerichtsbuch von 1452 zu einem der ersten Zeugen dieser auch heutigentags vor allem in abwehrendem  Sinne einer „Lass mich doch in Frieden!“ gebrauchten Abweisung, ohne dabei en Ehrenrühriges oder Beleidigendes denken zu wollen. Prüderie kommt in der Gegenwart selbst vor Gericht kaum noch zum Zuge. Auch der durch das Christentum in die Vorstellungswelt gelangte Teufelsglaube forderte abwehrende Maßnahmen. Luzifer musste seine Angriffe auf einen Menschen einstellen, wenn dieser ihm auf entsprechende Art zu begegnen wusste. Selbst Martin Luther kam von überlieferten Anschauungen nicht frei und konnte nach authentischen Berichten durch Zeigen des Gesäßes den Bösen verjagen.

Aus den Reihen der Bürger Forchheims, die sich ehemals zum Schutz ihres Hab und Gutes, ihrer Weiber und Kinder, bedenkenlos durchaus populärer Hantierungen bedienten, ragt seiner weit heraus: der Zimmermann Hans Ruhalm, der Beil, Schnitzmesser und Meißel gleichermaßen kunstgerecht zu gebrauchen verstand, 1516 erstmals dahier genannt wird und am 14. August 1549 zu Forchheim verstirbt.
Unsterblichkeit verdiente er sich nicht nur als Urheber des künstlerischen aufgeführten Magistratsgebäude am Rathaus, des frühesten Renaissancebaues unserer Gegend, sondern vornehmlich durch die urwüchsige Gestaltung der Säulen und Kapitelle mittels plastisch herausgearbeiteter Motive aus der Pflanzen- , Tier- und nicht zuletzt der Glaubenswelt seiner noch von Dämonen erfüllten Zeit. Zweifellos kam ihm dabei ein „Humor von derbster Urwüchsigkeit“ zugute, doch kann die Annahme, dass der lediglich „sogenannte Zimmermannscherze“ verkörpern wollte, heute als überholt gelten. Ruhalm wusste 1535, als er sich als „Meister des Magistratsgebäudes“ im Balkenwerk in einem Schriftband wie in einem Konterfei verewigt, noch genau von den Gefahren, die menschlichem Schaffen durch überirdische  feindliche Einflüsse drohten, den Bauwerken wie ihren Bewohnern. Und er kannte die Möglichkeiten, schädliche Gewalten zu bannen. Nur aus dieser Erkenntnis heraus sind auch die zahlreichen Reliefs, die wir heute größtenteils im Bilde vorstellen, zu verstehen und deuten.

Reihen wir zunächst  einmal die aussagekräftigsten Schnitzerrein los nebeneinander. Da finden wir, aber nur wenn wir genau hinsehen, eine spiegelhaltende männliche Gestalt, darüber ein Männlein, das sich tief bückt, einen musizierenden Bären, einen Possenreißer, einen Löwenkopf mit Drachenkrallen, eine Eule, einen aus Pflanzenblättern ragenden Fischkopf, einen aus einer Rübe wachsende Männergestalt sowie drei weitere Männerköpfe. Vielleicht beginnen wir am besten mit der am deutlichsten erkennbaren und sich oberhalb des Eingang zum Verkehrsamt (Polizeiwache) befindlichen Darstellung eines in halbkniender Stellung auf einer Kugel kauernden Männleins, das in der rechten Hand einen Spiegel hält, mit der linken aber einen Zipfel des Gewandes lupft, damit man so etwas von seiner nackten Rückseite zu Gesicht bekommt. Das hier eine sogenannte apotropäische, d. i. dämonenabwehrende Absicht vorliegt, dürfte aus vorstehenden Darlegungen klar geworden sein. Im Spiegel aber vermag der Mann zu sehen, was hinter ihm vorgeht, dazu kann der Spiegel alles Verborgene und geheimnisvolle aufzeigen. Seine abwehrende Wirkung richtet sich hauptsächlich gegen den „bösen Blick“, wie er noch dazu dient, sich unerwünschte Wesen dämonischer Natur vom Leibe zu halten.

Eine unmissverständliche Ergänzung zu dem „Kugelmännchen“ gibt die senkrecht darüber im Säulenkapitell herausgearbeitete Figur, die sich tief bückt und mit einem Arm am Blattwerk festhält, dabei unter Zuhilfenahme der beiden Hände zeigt, dass sie sich und das  ganze Haus durch ihre Blöße gegen alles Böse absichern will. Ähnliche Gesten finden sich noch in weiteren Kapitellen, wenn auch einfacher ausgedrückt. Aus einem anderen Kapitell streckt sich ein durch Auge und Mund angedeuteter Fischkopf hervor. Fische galten eins nicht nur als heilig, sondern ebenso als Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens, wie sie ferner der Dämonenabwehr dienten. Selbst gegen den bösen Blick immun, konnten sie auch vor diesem schützen. Endlich waren Fische als Sinnbild des Phallus, dem unter dem Begriff der Nacktheit gleichfalls apotropäische Kraft zukam, von dämonenabwehrender Bedeutung.

Gut tritt der aufrechtstehende dudelsackpfeifende Bär aus dem Dunkel des Fachwerkes hervor. Bären, zuweilen als verwandelte Menschen betrachtet, zeichnete gleichfalls Abwehrcharakter aus, so besonders als Hexenfeinde, sie waren aber auch eine der vielen Gestalten des Vegetationsdämons, und unter der Musik, die unser Rathausbär spielt, muss Dämonenmusik verstanden werden. 
Am äußersten westlichen Stützbalken erkennen wir die Darstellung einer Eule. Auch sie galt als dämonisches Tier, so dass man sie gleichfalls zu manchem Zauber und Gegenzauber verwenden konnte, zur Bewahrung vor Blitzschlag, Feuer, Behexung und anderen Gefahren. Schwerer fällt die Deutung der Figur im obersten Kapitell des dritten Stützbalkens von rechts, die als ein zungenstreckender Löwenkopf mit Drachen- oder Greifklauen angesehen werden könnte. Zweifellos hat Meister Ruhalm eine dämonenabwehrende Fratze gestalten wollen. Und da zu den Ungeheuern der Volkssage ein Wesen zählt, das vorne aus einem Löwen und hinten aus einem Drachen besteht, dürfen wir im Rathausrelief ein solches Fabeltier erblicken.

So bliebe gelegentlich nur der Possenreißer, der Till Eulenspiegel des vierten Stützbalkens von links, noch übrig. Seine Gesten unterscheiden sich offensichtlich von jenen der sonstigen Plastiken. Will oder soll er vielleicht auf seine eigene, gefälligere Weise weniger Böses abwenden, als Gutes, Freundliches herbeirufen? Somit wäre er mehr als Schutzgeist, als Maskottchen, zu betrachten, das den Neider der guten Geister zu bannen sucht. Nicht zu übersehen sind endlich die verschiedenen Männergestalten bzw. –köpfe, die sich auf die Gesamtfront verteilen, unter ihnen als bedeutsamste die aus einer Rübe herauswachsende Halbfigur des äußersten linken Stützbalkens in der erhobenen linken Hand einen Trinkbecher, in der anderen einen Maßstab haltend. Bei ihr dürfte es sich einwandfrei um den „Meister des Pavs“ selbst handeln.

Ob die übrigen Männerköpfe, die zwar das volle Haupthaar und den in einen Kinnbart übergehende Schnauzbart tragen, ebenfalls Selbstdarstellungen Ruhalms sind, ist nicht zu sagen, da kein Porträt des Zimmermeisters existiert. Eher könnte es sich um die Steinmetzen und Gebrüder Hans und Stephan Dietz handeln, die damals wie Ruhalm „an den gemeinen peuen der Statt“ arbeiteten.
Freilich laufen heute die meisten Passanten an den künstlerischen Ein- und Ausfällen Meister Ruhalms unachtsam vorüber. Früher aber, als die beachtenswerten Schnitzereien noch in ihrer ursprünglichen Farbfassung am Gebälk prangten, wohl sogar unter Verwendung von Gold, war ihre Aussage auf – und eindringlicher. Mancher der genaueren Betrachter mag vielleicht zu der Überlegung veranlasst werden, dass er über eine bedrängende und bedrohliche Situation leichter hinwegkommen könnte, wenn er zwar nicht wie etwa seine Väter gleich die Hose lupfen, aber sich doch durch ein von Herzen fließendes offenes, befreiendes Wort einer drückenden Last entledigen würde.

Durch die farbliche Gestaltung des Rathauses – Magistratsbaues – sind die zahlreichen Schnitzereien besonders deutlich sichtbar geworden. Es besteht deshalb ein breites Interesse an der Beschreibung der einzelnen Figuren. Der Heimatverein Forchheim e. V. möchte diesem Bedürfnis Rechnung tragen und mit den dazugehörigen Zeichnungen seines verdienten Heimatfreundes Alfred Frank in Dankbarkeit gedenken.

Herausgeber: Heimatverein e. V. Forchheim, Entnommen dem Heft Nr. 3, Jahrgangs 1970, des Fränkischen-Schweiz-Vereins.